Digitalisierung, Versorgungssicherheit und Abschaffung des § 219a StGB – die gesundheitspolitischen Pläne der Ampelkoalition

Angelehnt an die berühmten Worte des Altkanzlers Willy Brandt „Mehr Demokratie wagen“ haben die Ampelparteien unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ am vergangenen Mittwoch in Berlin ihren Koalitionsvertrag[1] vorgestellt. Die notwendige Billigung des Koalitionsvertrags ist bei den Grünen bereits durch eine Mitgliederbefragung eingeleitet; SPD und FDP werden am 04. bzw. 05.12.2021 digitale Parteitage veranstalten.

Angelehnt an die berühmten Worte des Altkanzlers Willy Brandt „Mehr Demokratie wagen“ haben die Ampelparteien unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ am vergangenen Mittwoch in Berlin ihren Koalitionsvertrag[1] vorgestellt. Die notwendige Billigung des Koalitionsvertrags ist bei den Grünen bereits durch eine Mitgliederbefragung eingeleitet; SPD und FDP werden am 04. bzw. 05.12.2021 digitale Parteitage veranstalten.

Das Ressort Gesundheit soll der SPD zugeteilt werden. Im Folgenden möchten wir Ihnen die gesundheitspolitischen Inhalte des Koalitionsvertrages – schwerpunktmäßig für den Bereich der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung – vorstellen:

  • Beschleunigter Ausbau der Telematik-Infrastruktur

Geplant für den Bereich der Digitalisierung des Gesundheitswesens ist die beschleunigte Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und des E-Rezeptes sowie deren nutzenbringende Anwendung.

Die schrittweise Implementierung der ePA startete bereits zum 01.01.2021. Seit dem 01.07.2021 sind Vertragsärzte und -psychotherapeuten gesetzlich verpflichtet, technisch auf die ePA vorbereitet zu sein, diese also lesen und befüllen zu können. Auch die verpflichtende Verwendung des E-Rezepts ist für Vertragsärztinnen und – ärzte bereits gesetzlich verankert: Verschreibungspflichte Medikamente dürfen ab dem 01.01.2022 ausschließlich elektronisch verordnet werden. Weitere Funktionen und Anwendungsgebiete der ePA bzw. des E-Rezepts sieht das SGB V für die Zukunft vor, so etwa die Möglichkeit, ab dem 01.07.2022 eine elektronische Erklärung zur Organ- und Gewebespende in dem dafür bestimmten Register vornehmen zu können bzw. u. a. die ausschließlich elektronische Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln ab dem 01.07.2026. Dieser bereits gesetzlich angelegte Ausbau von ePA und E-Rezept und deren nutzenbringende Anwendung soll nun beschleunigt werden.

Bezüglich der ePA verspricht der Koalitionsvertrag weiter: „Alle Versicherten bekommen DSGVO-konform eine ePA zur Verfügung gestellt; ihre Nutzung ist freiwillig (opt-out).“ Ziel ist wohl die aktuelle datenschutzrechtliche Problematik zu beheben, dass Patienten seit Januar 2021 zwar entscheiden können, ob auf der ePA Gesundheitsdaten gespeichert werden, aber keine Kontrolle über die Freigabe im Einzelnen haben. Erst zum 01.01.2022 werden Patienten, die Möglichkeit erhalten, einzelne Dokumente gegenüber spezifischen Leistungserbingern freizugeben, jedoch nur bei Nutzung eines Smartphones oder Tablets.

  • Abschaffung der Budgetierung bei Hausärzten 

Weiter verspricht die Ampelkoalition: „Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf.“ Die versprochene Abkehr von Budgets für Arbeitszeit, Verbands- und Arzneimittel, Heilmittel und Laboruntersuchungen und in der Folge der Wegfall von Regressen bei Überschreitung ebendieser soll die Versorgung in unterversorgten Bereichen sichern.

  • Förderung von kommunalen MVZ und Zustimmung zu Entscheidungen des Zulassungsausschusses

Ebenfalls der Versorgungssicherheit soll dienen, die Gründung von kommunal getragenen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und deren Zweigpraxen zu erleichtern und bürokratische Hürden abzubauen.

Kommunen sind bereits jetzt in die enumerative gesetzliche Aufzählung von möglichen Gründern für MVZ inkludiert; bundesweit haben hiervon jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nur eine Hand voll Kommunen Gebrauch gemacht. Hintergrund hierfür ist insbesondere die Knappheit an Vertragsarztsitzen sowie die schwierige Vereinbarkeit von Vorschriften des Kommunalrechts mit denen des Sozialrechts.

Für den Bereich des Zulassungsrechts macht die Ampel zudem noch eine überraschende Ankündigung: „Entscheidungen des Zulassungsausschusses müssen künftig durch die zuständige Landesbehörde bestätigt werden“. Erst im Jahr 2019 ist den obersten Landesbehörden für die Sozialversicherung ein Mitberatungsrecht bei Entscheidungen der Zulassungsausschüsse mit besonderer Versorgungsrelevanz eingeräumt worden. Die nun vorgesehen verpflichtende behördliche Bestätigung von Zulassungsentscheidungen stellt einen erheblichen Eingriff in die Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen dar.

  • Abschaffung des § 219a StGB

Eingebettet in Themengebiet „Gleichstellung, Reproduktive Selbstbestimmung“ findet sich zudem eine das Medizinrecht betreffende Änderung des Strafgesetzbuches (StGB): Die Koalitionspartner versprechen den umstrittenen § 219a StGB „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ abzuschaffen. „Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen.“ Zu deren Schutz sowie zum Schutz von Patientinnen werden zudem wirksame gesetzliche Maßnahmen gegen sogenannte Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern zugesagt. Schwangerschaftsabbrüche sollen in die ärztliche Aus- und Weiterbildung inkludiert werden.


[1] Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD),
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), abrufbar unter: https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/, https://www.gruene.de/artikel/koalitionsvertrag-mehr-fortschritt-wagen, https://www.fdp.de/koalitionsvertrag2021.