Betrachtung aller angestellten Ärzte im vertragsärztlichen Nachbesetzungsverfahren

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 28. Mai 2025 (L 5 KA 1779/24) entschieden, dass ein Medizinisches Versorgungszentrum, welches einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz übernehmen möchte, die Erfüllung aller Auswahlkriterien durch alle potentiell anzustellenden Ärzte gewährleisten muss.

Im zugrunde liegenden Fall hatte der verstorbene Vertragsarzt ein Nachbesetzungsverfahren eingeleitet. Beworben hatten sich ein einzelner Augenarzt sowie ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), das den Sitz mit zwei angestellten Augenärztinnen fortführen wollte. Die alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin des Zentrums war ebenfalls Ärztin, übte ihre vertragsärztliche Tätigkeit jedoch ausschließlich in anderen Einheiten der Trägerstruktur aus. Der Zulassungsausschuss entschied zugunsten des einzelnen Arztes. Die hiergegen gerichtete Klage blieb sowohl vor dem Sozialgericht als auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg.

Das Gericht stellte zunächst heraus, dass die Auswahlentscheidung nach § 103 SGB V personengebunden ist. Maßgeblich sind daher nicht abstrakte Strukturen des Medizinischen Versorgungszentrums, sondern die Qualifikationen der beantragten angestellten Ärzte, die im Falle der Zulassung die Versorgung der Versicherten tatsächlich übernehmen sollen. Bewirbt sich ein MVZ mit mehreren Ärzten, müssen sämtliche Auswahlkriterien bei allen angestellten Ärzten gleichermaßen vorliegen. Es ist nicht möglich, dass ein Arzt ein fehlendes Kriterium des anderen ausgleicht. Im vorliegenden Verfahren war eine der beiden vorgesehenen Ärztinnen seit Jahren nicht mehr in der Warteliste eingetragen. Die Wartelisteneintragung ist ein gem. § 103 Abs. 5 SGB V zu berücksichtigendes Kriterium, welches in der Praxis häufig den Ausschlag zu Gunsten eines Bewerbers gibt, wenn alle Bewerber bereits mehr als fünf Jahre fachärztlich tätig sind. Hier konnte das MVZ dieses Kriterium nicht für sich in Anspruch nehmen, obwohl die zweite Ärztin seit vielen Jahren in der Warteliste eingetragen war.

Des Weiteren hat das Gericht hat die Auslegung der Nachrangregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB bestätigt, wonach ein MVZ immer nachrangig zu berücksichtigen ist, wenn die Mehrheit der Anteile und Stimmrechte nicht bei Ärzten liegt, die im dem MVZ selbst vertragsärztlich tätig sind. Entscheidend ist dabei die tatsächliche vertragsärztliche Tätigkeit, die bloße gesellschaftsrechtliche Stellung genügt nicht. Die Alleingesellschafterin der Trägergesellschaft des MVZ war im konkreten Fall zwar Vertragsärztin, jedoch nicht im sich bewerbenden MVZ tätig, sondern in einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft an anderen Standorten zugelassen. Das LSG stellte klar, dass ein MVZ, bei dem diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, den ausgeschriebenen Vertragsarztsitz nur dann übernehmen kann, wenn kein anderer geeigneter Bewerber vorhanden ist. Diese Regelung dient nach Auffassung des Gerichts dem Schutz der freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass freiberuflich tätige Ärzte durch große, kapitalstarke Trägerstrukturen verdrängt werden. Angesichts der erheblich gestiegenen Zahl der Medizinischen Versorgungszentren sei diese Schutzfunktion heute wichtiger denn je. Die Forderung, dass ein mehrheitsbeteiligter Arzt im sich bewerbenden MVZ selbst tätig sein muss, sei keine zufällige Formulierung, sondern bewusst gewählt worden, um sicherzustellen, dass MVZ nach Möglichkeit weiterhin ärztlich geprägt und nicht lediglich gesellschaftsrechtlich kontrolliert werden.