Sozialgericht Berlin: MVZ behält halbe Zulassung bei Ausscheiden wegen eines Aufstiegs einer nach Verzicht angestellten Ärztin vor Ablauf der Drei-Jahres-Frist

Ein MVZ behält eine halbe Zulassung, obwohl eine angestellte Ärztin vor Ablauf der bei einem Verzicht zu Gunsten Anstellung geltenden Drei-Jahres-Frist gem. § 103 Abs. 4a SGB V das MVZ verlässt, wenn die Ärztin bessere Aufstiegsmöglichkeiten und bessere Karrierechancen im Rahmen der neuen Anstellung hat. So hat das Sozialgericht Berlin in seinem Urteil vom 30.09.2020, Az. S 87 KA 155/18 entschieden.

Ein MVZ behält eine halbe Zulassung, obwohl eine angestellte Ärztin vor Ablauf der bei einem Verzicht zu Gunsten Anstellung geltenden Drei-Jahres-Frist gem. § 103 Abs. 4a SGB V das MVZ verlässt, wenn die Ärztin bessere Aufstiegsmöglichkeiten und bessere Karrierechancen im Rahmen der neuen Anstellung hat. So hat das Sozialgericht Berlin in seinem Urteil vom 30.09.2020, Az. S 87 KA 155/18 entschieden.

Sachverhalt

In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall erwarb die Klägerin (MVZ) im Jahre 2016 eine Praxis. In dieser Praxis war unter anderem seit mehr als fünf Jahren eine Ärztin als Fachärztin für Innere Medizin in Teilzeit angestellt. Nachdem sie zwei Quartale in Berufsausübungsgemeinschaft mit der Klägerin tätig war, verzichtete die Ärztin auf ihre hälftige Zulassung, um im MVZ der Klägerin angestellt zu werden. Bereits nach neun Monaten kündigte sie dieses Beschäftigungsverhältnis jedoch. Grund für die Kündigung war eine ihr angebotene Vollzeitanstellung in ihrem Fachbereich in einem mit der Klägerin konkurrierendem MVZ.
Die Klägerin stellte daraufhin beim Zulassungsausschuss einen Antrag auf Genehmigung der Erweiterung des Beschäftigungsumfangs einer anderen Ärztin im Wege der Nachbesetzung der vakant gewordenen halben Zulassung der ausgeschiedenen Ärztin. Der Zulassungsausschuss lehnte diesen Antrag ab. Er verwies auf die Rechtsprechung des BSG, wonach das Nachbesetzungsrecht verwirkt sei, wenn die Anstellung der verzichtenden Ärztin vor Ablauf von drei Jahren ende (BSG, Urt. v. 4. 5. 2016 – B 6 KA 21/15 R).
Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin Widerspruch ein, den der Berufungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin zurückwies. Im Anschluss reichte die Klägerin Klage beim Sozialgericht Berlin ein. Die Klage wurde auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt, nachdem die Ärztin, deren Beschäftigungsumfang erweitert werden sollte, nach Klageerhebung aus anderen Gründen in Vollzeit angestellt werden konnte.

Entscheidungsgründe

Die Klage war erfolgreich. Das Sozialgericht Berlin stellte fest, dass der von der Klägerin im Klagewege angefochtene Bescheid des Berufungsausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin rechtswidrig sei. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Nachbesetzung der hälftigen Arztstelle. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urt. v. 4. 5. 2016 – B 6 KA 21/15 R) komme es für eine vorfristige Nachbesetzung einer Arztstelle nach § 103 Abs. 4a Satz 3 SGB V, die per Verzicht gegen Anstellung in ein MVZ eingebracht worden sei, darauf an, ob die verzichtende Ärztin ursprünglich die Absicht besessen habe, sich für die Dauer von mindestens drei Jahren anstellen zu lassen. Darüber hinaus sei zu prüfen, ob die frühere Beendigung des Angestelltenverhältnisses auf wichtige Gründe zurückzuführen sei, die der Ärztin zum Zeitpunkt der Anstellung und der Abgabe der Verzichtserklärung noch nicht bekannt gewesen seien. Im vorliegenden Fall kam das Sozialgericht Berlin zu der Überzeugung, dass die Ärztin zum Zeitpunkt des Verzichts die Absicht gehabt habe, für die Dauer von mindestens drei Jahren bei der Klägerin angestellt zu sein. Dafür spreche die Tatsache, dass sie bereits seit mehr als fünf Jahren in der veräußerten Praxis tätig gewesen sei. Zum anderen bestünden nachvollziehbare Gründe der Berufsplanung, die nach neun Monaten zur Beendigung der beruflichen Tätigkeit bei der Klägerin geführt hätten. Die Ärztin verbessere bei ihrem neuen Arbeitgeber ihre berufliche Stellung, in dem sie in Vollzeit in ihrem Spezialgebiet tätig sein könne. Für sie sei nicht absehbar gewesen, dass sich ihr innerhalb von so kurzer Zeit eine derartige Karrierechance bieten würde. Insofern könne vorliegend von der Drei-Jahres-Frist abgewichen werden.

Fazit

Das Gericht hat festgestellt, dass die Regelung der Drei-Jahres-Frist nicht dazu führen darf, dass dem angestellten Arzt/der angestellten Ärztin unverhoffte Möglichkeiten auf einen beruflichen Aufstieg genommen werden. Für Ärzte und Ärztinnen in Teilzeit oder auch in Elternzeit kann diese Entscheidung als wichtiges Argument dienen, auch vor dem Ablauf von drei Jahren Anstellung beenden zu können und sich beruflich weiterzuentwickeln. Die vorliegende Fallkonstellation entspricht zwar nicht der üblichen Konstellation, in der Ärzte und Ärztinnen auf ihre Zulassung verzichten, um einen langsamen Ausstieg aus dem Berufsleben einzuleiten. In diesen Fällen wird die Entscheidung eher selten als Argument herhalten können, da die Motive eines Verzichts zu Gunsten einer Anstellung aus Gründen des beruflichen Ausstieges andere sind. Dennoch ist die vorliegende Entscheidung wichtig. Sie bestätigt, dass ein Abweichen von der Drei-Jahres-Frist bei Vorliegen von triftigen, unvorhersehbaren Gründen möglich ist.