Zulässigkeit eines Verordnungsregresses bei nicht zugelassenen Therapieallergenen

Die Verordnung von nicht zugelassenen Therapieallergenen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung sei „grundsätzlich unzulässig“. Einen Vertrauensschutz aufgrund der bisherigen Erstattungspraxis gebe es nicht. Dies entschied das SG Hannover mit Urteil vom 13.09.2023 (Az. S 20 KA 308/22). Damit wendet sich das Gericht gegen die bisherige Verordnungs- und Erstattungspraxis noch nicht zugelassener Therapieallergene.

Geklagt hatte eine Berufsausübungsgemeinschaft gegen die für sie zuständige Prüfstelle. Diese hatte einen Bescheid erlassen, in dem sie für zwei Versicherte der antragstellenden Krankenkasse, welche ein durch die Klägerin noch nicht zugelassenes Therapieallergen verschrieben bekommen hatten, die Rückerstattung der Verordnungskosten festgesetzt hatte. Die Prüfstelle begründete diesen Verordnungsregress mit der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung des verordneten Therapieallergens, sodass die Verordnung rechtswidrig erfolgt sei. Das SG Hannover hat die Klage als unbegründet abgewiesen und führte zur Begründung u.a. aus:

  1. Das streitgegenständliche Therapieallergen unterliege gemäß § 1 Therapieallergene-Verordnung („TAV“) der Zulassungspflicht. Aufgrund des laufenden Zulassungsverfahrens sei es zwar verkehrsfähig, aber mangels der zum Verordnungszeitpunkt vorhandenen Zulassung, bestehe grundsätzlich keine Leistungspflicht durch die GKV.
  2. Auch aus einer sich nach den Regelungen des Arzneimittelgesetzes („AMG“) ergebenden Verkehrsfähigkeit könne ohne die vorherige Überprüfung im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht auf die Verordnungsfähigkeit geschlossen werden.
  3. Aus dem Umstand, dass die Prüfgremien oder Kostenträger über einen längeren Zeitraum vergleichbare Verordnungen nicht beanstandet haben, erwachse kein Recht und kein Vertrauensschutz, auch in Zukunft entsprechend verordnen zu dürfen.

Das SG Hannover bezieht mit seinem Urteil deutlich Stellung zu einem in der Literatur streitigen Thema, nämlich, ob die nach der TAV übergangsweise angeordnete Verkehrsfähigkeit zur Begründung einer Verordnungsfähigkeit in der GKV ausreiche.

Praxistipp:

Grundsätzlich kann ein Arzt im Rahmen seiner Therapiefreiheit Arzneimittel frei verordnen. Die Erstattungsfähigkeit ist damit jedoch nicht automatisch gegeben, wie dies insbesondere bei Off-Label-Use-Verordnungen der Fall ist. Dem verordnenden Arzt ist anzuraten, vor seiner Verordnung insbesondere zu prüfen, ob nicht ein vergleichbares, zugelassenes Therapieallergen im Markt verfügbar ist. Sollte er ein weiterhin nicht zugelassenes Therapieallergen verordnen, muss er nun möglicherweise mit einem Verordnungsregress rechnen. Auf einen Vertrauensschutz aufgrund der bisherigen Verordnungs- und Erstattungspraxis wird er sich nach diesem Urteil nicht mehr berufen können. Zu beachten ist jedoch, dass dies nur für diejenigen Therapieallergene gilt, die weit verbreitet sind und die im Anhang der TAV aufgelistet sind.

Hintergrund:

Therapieallergene werden bei allergischen Erkrankungen verschrieben. Es handelt sich um Fertigarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 2 AMG. Seit dem Jahr 2008 gilt die TAV in Deutschland. Diese setzt die europäische Richtlinie 2001/83/EG vom 28.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel um und legt fest, dass es für weit verbreitete Therapieallergene des Nachweises nach dem Arzneimittelgesetz, mithin einer arzneimittelrechtlichen Zulassung, bedarf. Die Zulassung gewährleistet, dass ein Arzneimittel hinsichtlich seiner Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit überprüft worden ist. Für Therapieallergene ist eine solche Zulassung beim Paul-Ehrlich-Institut („PEI“) zu beantragen. Das PEI führt eine Liste der verkehrsfähigen Therapieallergene im Zulassungsverfahren. Derzeit sind noch 47 Zulassungsanträge beim PEI in Bearbeitung (Stand: 03.07.2023).